Einleitung

Die meisten Anleger haben die Börsen-Floskel „Sell in May and go away“ schon einmal gehört. Aber lohnt es sich wirklich, danach zu handeln? Viele Artikel haben sich schon mit dieser Thematik auseinandergesetzt und versucht, die Sinnhaftigkeit dieser Regel zu untersuchen - vorrangig an amerikanischen Aktienindizes. Wir möchten uns heute ansehen, ob sich diese Regel auf einen der wichtigsten europäischen Aktien-Indizes - dem DAX - gewinnbringend anwenden lässt.

Der Ursprung

Der ursprüngliche Wortlaut „Sell in May and go away, come back on St. Leger’s Day” stammt aus dem London des 18. Jahrhunderts. Britische Investoren, Aristokraten und Banker verließen in den Sommermonaten die Hitze der Stadt, um am Land zu entspannen. Sie kehrten erst im September, nach dem bekannten St. Leger Stakes Pferderennen, in die Stadt zurück. US-amerikanische Investoren etablierten später eine Abwandlung dieser Regel, welche besagt, man solle in der Zeit zwischen dem Memorial Day im Mai und dem Labor Day im September dem Aktienmarkt fernbleiben. [1]

Was ist dran?

Unzählige Artikel haben diese saisonale Strategie bereits anhand historischer Preisdaten auf ihre Richtigkeit untersucht. Es sieht so aus, dass z.B. der S&P Performance Index in den Sommermonaten tatsächlich schwächer performt als in den Wintermonaten. Aber lohnt es sich deshalb, in dieser Zeit seine Aktien zu verkaufen und 100 % „ins Geld“ zu gehen? Im Fall des S&P wohl eher nicht, da die Sommermonate zwar im Durchschnitt schlechter waren, aber dennoch in Summe positive Performance lieferten. [2]

Wie sieht es in Europa aus?

Da sich die meisten Überprüfungen der „Sell in May“ Regel auf amerikanische Aktienindizes beziehen, wollen wir uns die Regel am Beispiel eines der wichtigsten Indizes in Europa - dem DAX - ansehen. Die Grundlage der folgenden Untersuchungen bilden die Tages-Schlusskurse der Jahre 1987 bis 2025 des DAX Kursindex, welcher keine Dividenden oder Zinskomponenten enthält.

Wir wollen herausfinden, ob eine Einhaltung der „Sell in May“ Regel zu einer Outperformance gegenüber einer einfachen Buy-and-Hold-Strategie geführt hätte. Als Einstieg stellt die folgende Abbildung die prozentuale Entwicklung der Sommermonate von Mai bis August im Vergleich zur Entwicklung der Wintermonate von September bis April des Folgejahres dar.

Aus den Daten lässt sich ableiten, dass ein Buy-and-Hold Investment in den DAX vom 2.1.1987 bis zum 30.12.2024 eine Performance von knapp 1309 % geliefert hätte. Zur Berechnung der saisonalen („Sell-In-May“) Performance werden in jedem einzelnen der Jahre nur die Performance der Monate Januar bis April sowie September bis Dezember berücksichtigt. Dadurch hätte diese saisonale Strategie mit einer Performance von knapp 994 % schlechter als der Buy-and-Hold-Ansatz abgeschnitten.

Das sagt noch nicht grundlegend etwas über die Über- oder Unterlegenheit der saisonalen Strategie aus. Deshalb wollen wir sie über mehrere unterschiedliche Anlage-Horizonte anhand der historischen Daten testen. Wir beginnen mit den Zeitrahmen drei, fünf und zehn Jahre. Dafür wird die Buy-and-Hold-Performance innerhalb des gewählten Zeitraumes von Januar des Start-Jahres bis inklusive Dezember des letzten Jahres des Zeitraumes berechnet. Dem gegenübergestellt wird die Performance der saisonalen Strategie - also der Monate Januar bis April sowie September bis Dezember aller Jahre im jeweiligen Zeitfenster.

Wir beginnen mit einer Anlagedauer von drei Jahren. Wir nehmen dieses Zeitfenster und schieben es über den gesamten verfügbaren Zeitraum von 1987 bis 2025 und berechnen jeweils die Rendite. Die Ergebnisse sind in der folgenden Abbildung dargestellt. Der graue Balken ganz links zeigt die Performance einer drei Jahre dauernden Buy-and-Hold-Strategie, die im Jahr 1987 gestartet worden wäre - also Kauf im Januar 1987, Verkauf im Dezember 1990. Der kleine violette Balken daneben zeigt im Vergleich dazu die Performance der saisonalen „Sell in May“-Strategie über dieselben drei Jahre. Der dritte graue Balken zeigt das Buy-and-Hold-Ergebnis über drei Jahre gestartet im Jahr 1988 und so weiter. Es zeigt sich, dass nur in 16 von 36 Zeitfenstern die saisonale Strategie besser performte - in 20 Zeitfenstern war Buy and Hold überlegen. Auch die durchschnittliche Performance aller getesteten Zeitfenster von Buy and Hold war mit 30,5 % besser als jene der saisonalen Strategie mit durchschnittlich 27 %.

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Wählt man statt der drei Jahre ein fünf-Jahres-Zeitfenster zeigt sich ein ähnliches Bild. Die saisonale Strategie hätte in nur 15 von 34 Perioden besser performet. Auch die durchschnittliche Performance von Buy-and-Hold mit 54 % lag deutlich über der Performance der saisonalen Strategie mit 49 %.

Final5JahreVergleich.jpg

Verwendet man ein Zeitfenster von 10 Jahren, so ist die saisonale Strategie in 20 von 29 möglichen Zeitfenstern prinzipiell überlegen. Wie die folgende Abbildung zeigt, wären damit aber gerade in den Jahren von 1987 bis 1991 eine sehr starke Überperformance der Buy-and-Hold-Strategie verloren gegangen. Im Durschnitt über alle getesteten Zeitfenster hätte Buy and Hold eine Performance von 124,9 % erreicht, die saisonale Strategie mit 123,9 % etwas weniger. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch das noch nicht abgeschlossenen Jahr 2025 mitberücksichtigt wurde.

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Wir haben jetzt Anlagehorizonte von drei, fünf und zehn Jahren im Detail betrachtet und erkannt, dass die saisonale Strategie in diesen Zeitabschnitten durchschnittlich schlechter abgeschnitten hätte als eine Buy-and-Hold-Strategie.

Nun wären in der Vergangenheit noch weitere Anlage-Zeiträume möglich gewesen, beispielsweise vier oder 20 oder gar 38 Jahre. Die folgende Tabelle zeigt deshalb die Ergebnisse für alle möglichen Anlage-Zeiträume im DAX, die mit den verfügbaren Daten testbar waren. Fazit: Es gibt beinahe gleichviele Anlage-Zeiträume, in denen die „Sell-In-May“ durchschnittlich besser gewesen wäre (20 x) als solche, in denen Buy and Hold besser gewesen wäre (18 x).

Anhand dieser Ergebnisse ist es daher wahrscheinlich nicht ratsam, für eine bestimmte Anlagedauer die eine oder andere Strategie zu wählen, weil diese in der Vergangenheit überlegen gewesen wäre. Hier haben zu viele Faktoren Einfluss gehabt und eine Über- oder Unter-Performance könnte genauso gut nur Zufall gewesen sein.

Wie können wir also anhand der vorhandenen Daten versuchen, eine Prognose für die Zukunft des DAX und der möglicherweise besseren Strategie zu erstellen? Im folgenden Abschnitt wird versucht, dafür eine Antwort zu finden.

Prognose

Wir verwenden die historischen Daten als Basis für die Erstellung von Varianten zukünftiger Jahre und verwenden diese Daten anschließend für eine sogenannte Bootstrap-Simulation der möglichen Performance.

Wer mehr über das Vorgehen bei der Simulation erfahren möchte, kann dies im Exkurs am Ende nachlesen.

Das Ergebnis dieser Simulation ist in der folgenden Abbildung ersichtlich: Die Simulation zeigt eine Überperformance der Buy and Hold-Strategie, die mit zunehmenden Anlagehorizont weiter ansteigt. Zum Vergleich sind in der Abbildung auch die historischen Renditen beider Strategien abgebildet.

Die Histogramme in der nachfolgenden Abbildung zeigen die Performance-Differenz der saisonalen „Sell in May“ Strategie gegenüber der Buy-and-Hold-Strategie. Die Balken stellen die Verteilung dar, mit der bei allen Durchläufen der Simulation die Performance, die auf der horizontalen Achse gruppiert ist, erreicht worden wäre.

Die Ergebnisse der Simulation suggerieren also eine deutliche Unter-Performance der Sell-In-May-Strategie. Kritische Leser könnten sich beim Betrachten der Ergebnisse fragen, warum die Simulation mit den synthetischen Daten doch recht weit von den historischen Ergebnissen abweicht. Mögliche Gründe dafür werden ebenfalls im Exkurs am Ende des Artikels diskutiert.

Fazit

Was können wir aus den Simulationen schließen?

Die historische Performance beider Strategien wurde stark von einzelnen, außergewöhnlichen Ereignissen (z. B. Finanzkrise 2008 ff.) geprägt und ist daher kein verlässlicher Indikator für die Zukunft.

Die Block-Bootstrap-Simulation (mit unabhängigen Jahres-Blöcken) deutet darauf hin, dass eine Buy-and-Hold-Strategie über mittlere und lange Anlagehorizonte im Durchschnitt eine höhere Rendite erwarten lässt als die „Sell-in-May“-Regel.

Da sowohl historische als auch simulierte Ergebnisse stark streuen und von Modellannahmen (z. B. Unabhängigkeit der Jahre) abhängen, sollte man sich nicht allein auf die „Sell in May“-Regel verlassen, sondern eine umfassendere Analyse inklusive Risikomanagement, Diversifikation und Fundamentaldaten durchführen.

Wenn du auch lieber auf fundierte Daten statt auf saisonale Faustregeln setzen willst, kannst du dich gerne auf www.gravitrade.at umsehen. Hier kannst du unterschiedliche Strategien, die auf technischen Indikatoren, Nachrichtenstimmungen oder Fundamentaldaten basieren, einfach erstellen und testen. Und das Beste: Wenn du eine funktionierende Strategie gefunden hast, kannst du sie mit wenigen Klicks aktivieren – für automatisch generierte und fundierte Handelssignale.

Exkurs: Simulation

Für die Simulation möglicher zukünftiger Renditen beider Strategien wurde wie folgend erläutert vorgegangen:

Aus den DAX-Schlusskursen wurden die monatlichen Renditen (z.B. Jan 2020: +2 %, Feb 2020: −1 %, …) errechnet.

Für jedes Kalenderjahr wurden exakt dessen 12 Monats-Renditen gemeinsam als Ein-Jahres-Block abgespeichert. Anhand der historischen Daten erhalten wir also eine Liste mit 38 solcher Blöcke (da 38 ganze Jahre).

Dann wurden gewünschte Anlage-Horizonte H vorgegeben, z.B. 3, 5 oder 10 Jahre. Die Simulation zieht dann pro Durchlauf H mal mit Zurücklegen je einen Jahres-Block zufällig aus der Liste. (Mit Zurücklegen bedeutet, der Block könnte beim nächsten Ziehen wieder gewählt werden - wie bei mehrmaligen Würfeln). Diese Blöcke wurden anschließend zu einer synthetischen Jahres-Abfolge zusammengefügt, anhand derer die Buy-and-Hold-Performance sowie die saisonale Performance errechnet wurde.

Dieser Vorgang wurde für jeden Anlage-Horizont mehrere tausend Mal wiederholt, um eine statistisch signifikante Aussagekraft zu erreichen. Je mehr Durchläufe durchgeführt werden, desto besser lassen sich Schwankungen glätten und zuverlässige Durchschnitts- sowie Streuungswerte ermitteln. Für unser Beispiel wurden die Anlage-Horizonte 3, 5, 10, 15, 25, 35 und 38 Jahre und jeweils 5000 Simulations-Durchläufe festgelegt.

Gründe für das Abweichen der Simulation von der Historie

Überlappung vs. Zufallsauswahl: In der historischen Auswertung überlappen sich die Anlagehorizonte stark – ein bestimmtes Jahr taucht in vielen Zeithorizonten auf. In der Simulation dagegen kann ein extrem gutes oder schlechtes Jahr mehrfach hintereinander gewählt werden, was den Durchschnitt nach oben / unten verschiebt.

Unterschiedliche Mittelwerte: Das historische Mittel ist das echte arith¬metische Mittel der vorhandenen 29 Werte. Der Bootstrap-Erwartungswert ist dagegen der Mittelwert einer theoretischen Ver¬teilung unter der Annahme, dass jeder Jahres-Block unabhängig gezogen wird. Diese beiden Kennzahlen müssen nicht identisch sein.

Zerstörung langer Marktphasen: Weil wir jedes Jahr einzeln mischen, zerreißen wir längere Crash- oder Boom-Phasen in einzelne Blöcke. Die Realität kennt aber oft mehr¬jährige Trend-Segmente, die in unserem Simulations-Verfahren nicht erhalten bleiben.

Dennoch sind das Vorgehen und die Zerteilung in Ein-Jahres-Blöcke legitim. Ein-Jahres-Blöcke sind klein genug, um keine historischen Abhängigkeiten abzubilden und groß genug, um die saisonalen Muster (Monatsstrukturen) zu bewahren. Mit dem Bootstrap-Ansatz ziehen wir diese Blöcke wiederholt und mit Ersatz, um ein realistisches Bild der möglichen Zukunftsszenarien zu bekommen.

References

  • [1] A. Loo, „Sell in May and Go Away,“ [Online]. Available: https://corporatefinanceinstitute.com/resources/career-map/sell-side/capital-markets/sell-in-may-and-go-away/#:~:text=the%20summer%20months.-,History%20of%20Sell%20in%20May%20and%20Go%20Away,Established%20in%201776%2C%20the%20St.. [Zugriff am 10 05 2025].
  • [2] Blind Luck Project, „Blind Luck Project,“ [Online]. Available: https://blindluckproject.com/blog/sell-in-may-and-go-away?utm_source=chatgpt.com. [Zugriff am 10 05 2025].